Ehrlich zu sein, ist nicht leicht. Ich kenne das gut.
Lange habe ich mein wahres inneres Empfinden für mich behalten, aus Angst vor Ablehnung. Meine damalige Umgebung und meine damaligen Netzwerke haben es mir nicht leichter gemacht, da kaum jemand über seine Gefühle gesprochen hat. Ich dachte mir: ,,Allen anderen geht es gut und in mir sind so viele dunkle Gedanken und Gefühle.“
Irgendwann lernte ich Menschen kennen, in deren Gegenwart ich mich sicher und wertgeschätzt fühlte. Ich begann mich zu öffnen und über meine inneren Kämpfe zu sprechen. Und ich erntete keine Ablehnung, kein: ,,Mit dir stimmt etwas nicht, du musst das Wegmachen“. Stattdessen erfuhr ich Interesse, Neugier und Wertschätzung. Ich fühlte mich verstanden und spürte, dass mit mir alles OK ist und negative Gedanken und Gefühle ganz normal, ganz menschlich sind.
Besonders heilsam empfand ich auch den ehrlichen Austausch in einem Kreis. Anfangs war es eine große Überwindung, mich vor einer Gruppe verletzlich zu zeigen. Ich machte jedoch schnell die Erfahrung, dass ich nicht alleine bin mit meinen seelischen Problemen. Ganz im Gegenteil: Ich erkannte, dass wir in der Tiefe alle sehr ähnliche Ängste, Bedürfnisse und Sehnsüchte teilen.
Ich lernte den unschätzbaren Wert der Ehrlichkeit kennen. Wer weiß, wo ich heute wäre, wenn ich nicht begonnen hätte, über mein Befinden zu sprechen und auch meine Gefühle vor anderen auszudrücken. Wenn Menschen sich ehrlich und verletzlich begegnen, können Wunder geschehen:
Ehrlichkeit entlastet Dich, weil Du Deine Bürde nicht mehr alleine tragen musst.
Ehrlichkeit verbindet Dich mit Menschen, die Dich so nehmen, wie Du bist.
Ehrlichkeit trennt Dich von Menschen, die nicht zu Dir passen.
Ehrlichkeit entspannt Dich, weil Du nicht mehr schauspielern musst.
Ehrlichkeit versöhnt Dich mit den inneren Anteilen, die Du bisher immer versteckt hast.
Ehrlichkeit stärkt dein Selbstwertgefühl, weil Du die Erfahrung machst, so sein zu dürfen, wie Du wirklich bist.
Ich lernte aber auch, dass Ehrlichkeit ein lebenslanger Prozess ist, denn sie beginnt bei Dir selbst. Um zu wissen, wie es in Dir wirklich aussieht, musst Du erst hinsehen und hinspüren: Wie fühle ich mich gerade wirklich? Was nehme ich in mir wahr? Erst, wenn Du Dich selbst wahrnehmen kannst und Dir eingestehen kannst, wie es Dir wirklich geht, kannst Du Dich ehrlich mitteilen. Dieser Prozess des sich selbst Kennenlernens endet meines Erachtens nie.
Wenn Du nicht gewöhnt bist, Dich ohne Maske zu zeigen, empfehle ich, ganz achtsam mit Dir umzugehen. Ich glaube, die meisten Menschen haben in ihrer Vergangenheit Schmerz erfahren, wenn sie bestimmte Seiten von sich gezeigt haben. Es ist deshalb ganz natürlich, diesen Schmerz nicht nochmal erfahren zu wollen.
Suche Dir deshalb Menschen, in deren Gegenwart Du Dich sicher und geborgen fühlst; Menschen, die Dir wirklich zuhören können und nicht gleich mit Rat-Schlägen reagieren. Bitte sie ggf. aktiv, Dir einfach nur zuzuhören. Wenn es in Deinem Leben aktuell keinen solchen Menschen gibt, suche sie Dir. Es gibt viele geschützte Räume, in denen ehrliche und wertschätzende Kommunikation praktiziert wird (wie z.B. Beratungsstellen, Telefonseelsorge, Selbsthilfe- und Selbsterfahrungsgruppen, Coaching- und Therapieangebote).
Sich verletzlich zu zeigen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Ausdruck wahrer Stärke, denn ehrlich zu sein erfordert Mut! Ich möchte Dich mit diesem Text ermutigen, Dich in passenden Situationen und vor den richtigen Menschen zu öffnen – Schritt für Schritt. Jedes ehrliche Wort ist ein Erfolg.